Guten Tag Frau LĂŒdi, vielen Dank, dass Sie sich heute Zeit fĂŒr unser Interview nehmen. Kurz zu Ihrer Person: Sie arbeiten als Psychologin bei WorkMed als Aussenstelle der Psychiatrie Baselland, richtig?
Genau, WorkMed ist ein Kompetenzzentrum, das auf Arbeitsintegration und -rehabilitation, also im Grossen und Ganzen auf psychische Gesundheit im Zusammenhang mit Erwerbsarbeit, spezialisiert ist.
Alles klar, dann beginnen wir mal ganz allgemein: Inwiefern wĂŒrden Sie sagen, dass Arbeit ein gesundheitsgefĂ€hrdender Faktor sein oder zu einem solchen werden kann?
GrundsĂ€tzlich geht man eigentlich davon aus, dass Arbeit förderlich fĂŒr unsere psychische Gesundheit ist. Sie deckt ganz viele menschliche GrundbedĂŒrfnisse wie Struktur, Orientierung, IdentitĂ€t, ein soziales Netz, WertschĂ€tzung und auch finanzielle UnabhĂ€ngigkeit ab. Arbeit gehört also eigentlich dazu, damit wir ein gutes Leben fĂŒhren können. Die gesundheitsgefĂ€hrdenden Faktoren sind wiederum sehr individuell. Es kommt stark auf die persönlichen Ressourcen der Person und die gesamte Lebenssituation an. Als gesundheitsgefĂ€hrdend lĂ€sst sich Arbeit sicher ab dem Moment einstufen, wo die Belastungs- und Ressourcenbalance eines Menschen ĂŒber lĂ€ngere Zeit hinweg nicht mehr stimmt â wenn also lĂ€ngerfristig mehr Belastungen als Ressourcen gegeben sind. Was man z.B. spezifisch fĂŒr die Schweiz weiss, ist, dass einer der grössten Stressfaktoren viele Arbeitsunterbrechungen sind, das alleine macht aber noch nicht krank. Auch eine hohe Arbeitslast und sogenannte psychosoziale Belastungsfaktoren wie Konflikte, KrĂ€nkungen, Mobbing oder eine andere schwierige Situation im sozialen Umfeld sind stark stressfördernde Faktoren.
Wir haben jetzt bisher allgemein von Stress gesprochen, der ausgelöst wird von den verschiedenen Faktoren, die Sie gerade genannt haben. Inwiefern kann sich aus diesem Stress dann tatsÀchlich ein Burnout-Syndrom entwickeln?
Da mĂŒssen wir erstmal eine wichtige Unterscheidung in Bezug auf Stress vornehmen: FĂŒr akuten Stress sind wir sehr gut ausgerĂŒstet, wir können kurze Herausforderungen problemlos meistern und wachsen in Stresssituationen ĂŒber uns hinaus. Die Einstellung, dass man mit dem richtigen Mindset durchgehend tiefenentspannt durchs Leben gehen könnte, ist nicht korrekt. Wo sich jedoch definitiv die Grenze zu Burnout oder einer Erschöpfungsdepression zieht, ist, wenn der Stresspegel chronisch aufrechterhalten bleibt. Oft wird Burnout â wahrscheinlich wegen des Wortes «brennen» â auch falsch verstanden. Man stellt sich vor, dass einfach zu viel Energie verbraucht wird. Aber was eher passiert, ist, dass der Körper nach und nach einen Verlust an ErholungsfĂ€higkeit erleidet. Man könnte sagen, man verbraucht nicht einfach zu viel Sprit, sondern man kann gar nicht mehr tanken. Burnout muss deshalb nicht immer die Folge von Stress sein, aber es ist sehr oft eine Folge, wenn ĂŒber lange Zeit, also chronisch, ein hoher Stressfaktor gegeben ist und die Person dies nicht bewĂ€ltigen kann. Auch entscheidend ist, ob es multifaktorieller Stress ist. Wenn also z.B. an der Arbeit eine schwierige Teamsituation vorliegt und man nach Hause kommt, und sich sehr gut auf seine Privatzeit einlassen kann, dann ist die Tendenz deutlich kleiner, dass ein Burnout entsteht.
Wie Ă€ussern sich denn ĂŒbermĂ€ssiger Stress oder erste Anzeichen eines Burnouts? Worauf kann und sollte man bei sich achten?
Es lassen sich FrĂŒhanzeichen auf allen drei Ebenen der Gesundheit finden, also körperlich, psychisch und sozial. Die hĂ€ufigsten Beschwerden sind im Bereich des Schlafs und der KonzentrationsfĂ€higkeit. Man merkt recht schnell, wenn man schlecht schlĂ€ft, Ein- und Durchschlafstörungen hat, ĂŒbermĂ€ssig in Gedanken versunken ist, Konzentrationsschwierigkeiten hat und damit auch weniger produktiv bei der Arbeit ist. Was sehr oft auf der emotionalen Ebene vorkommt sind Ăngste. Stress ist im Grunde eher ein Angstzustand. Oft haben Menschen, die ein Burnout haben, im Verlauf beispielsweise Panikattacken oder entwickeln andere Unsicherheiten. Auch der Verlust von Freude und Enthusiasmus sind typisch â und dann auch wirklich das Erschöpfungsempfinden, sodass man Schlaf gar nicht mehr als erholsam wahrnimmt. Im sozialen Bereich ist es oft erhöhte Reizbarkeit oder sozialer RĂŒckzug.
Sie hatten es vorhin schon ein bisschen angesprochen: Was man tun kann, um ein Burnout zu vermeiden, ist wahrscheinlich darauf zu achten, dass man einen guten Ausgleich zu möglichen Stresssituationen hat, oder?
Genau, also grundsĂ€tzlich nach dem Motto «Augen auf fĂŒr chronische Disbalance im Leben». Das wird vor allem zu einem Thema, wenn Menschen bei der Arbeit sehr engagiert sind und mit der Einstellung «nur noch einmal durchbeissen» durch den Arbeitsalltag gehen. Gerade bei multifaktoriellen Belastungsfaktoren, also wenn man mehrere Baustellen im Leben hat, lohnt es sich, mit dem Vorgesetzten in Kontakt zu treten und zu kommunizieren, dass man momentan im Privatleben stark ausgelastet ist und mit seinen Ressourcen haushalten muss. Auf der Ebene der persönlichen PrĂ€vention ist es ratsam, vor allem die eigene Abgrenzungs- und ErholungsfĂ€higkeit im Blick zu haben und sich aktiv FreirĂ€ume zu schaffen, durch die das System wieder runterfahren kann. Eine aktive Erholung durch SpaziergĂ€nge, Meditation oder Kurzpausen ist enorm effektiv. Auch sogenannte Mikropausen in den Tag einzufĂŒgen, also das andauernde Stresslevel auf einfache Art zu unterbrechen, kann helfen. Ausserdem ist es wichtig, bewusst ĂbergĂ€nge von Arbeit zu Freizeit zu gestalten. DiesbezĂŒglich hatten einige Menschen wĂ€hrend der Pandemie im Homeoffice Probleme, da die Grenzen hier viel weniger vorgegeben sind. Auch Sport ist erwiesenermassen stressregulierend â wenn man es richtig macht, also nicht auf Leistungssteigerung, sondern auf einem 80 Prozent-Level der LeistungsfĂ€higkeit trainiert. Und natĂŒrlich soziale Kontakte; gute soziale Bindungen geben RĂŒckhalt.
Gibt es denn Berufsgruppen, die besonders von Stress und Burnout betroffen sind?
Man hat Burnout schon seit lĂ€ngerer Zeit im Blick; zunĂ€chst ĂŒberwiegend auf die klassischen «Arbeiter» nach der Industrialisierung bezogen. SpĂ€ter ist es dann eher im Bereich des Sozial- und Gesundheitswesens aufgekommen; man hatte das GefĂŒhl, es ist primĂ€r ein emotionales Ausbrennen. Mittlerweile kann man allerdings sagen, dass es in allen Berufsgruppen ohne spezifische HĂ€ufung vorkommt.
Wir interessieren uns nun besonders fĂŒr die Baubranche: Welche Faktoren könnten Sie sich vorstellen, die speziell in diesem Berufsfeld zu Stress und Burnout fĂŒhren?
Es gibt nicht wirklich reprĂ€sentative Zahlen, aber nach meinen Erfahrungen wĂŒrde ich denken, es ist diese «Sandwichposition», vor allem als Projektleiter, die problematisch sein könnte. Man muss sich immer zwischen verschiedenen BedĂŒrfnissen bewegen, zwischen ZeitplĂ€nen, wo AbhĂ€ngigkeiten bestehen, die man nicht immer selbst in der Hand hat, und wo Zeitverzögerungen an der Tagesordnung sind. Der Umgang damit hĂ€ngt allerdings wieder sehr stark mit individuellen Faktoren und Ressourcen der Person ab.
Gibt es denn Faktoren, auf die Mitarbeitende und Vorgesetzte speziell in der Baubranche achten können, um entschÀrfend auf die teils unvermeidlich stressigen Situationen zu reagieren und Stress und Burnout langfristig zu vermeiden?
Ein wahnsinnig wichtiger Faktor sind die sozialen Beziehungen, auch im Arbeitsumfeld. Eine betriebliche IntegritĂ€t, das Wissen, dass man hintereinandersteht und es einen positiven Umgang mit Fehlern gibt, sind durchaus entscheidend. Was man darĂŒber hinaus ĂŒber alle Bereiche hinweg sagen kann, ist, dass gesundheitsbewusste FĂŒhrungskrĂ€fte auch gesĂŒndere Mitarbeitende und letztendlich auch weniger AusfĂ€lle haben.
Wohin kann man sich wenden, wenn man Anzeichen von ĂŒbermĂ€ssigem Stress oder Anzeichen eines Burnouts erkennt?
Die erste Anlaufstelle ist oftmals der Hausarzt / die HausÀrztin. Wenn man wirklich schon Anzeichen eines Burnouts erkennt und erwÀhnte PrÀventivmassnahmen nicht wirken, ist es definitiv sinnvoll, zu einer persönlichen Beratung mit einer Fachperson zu gehen.
Ist es denn wahrscheinlich, dass â wenn man schon Burnout-Anzeichen hat, aber nichts dagegen unternimmt â die Beschwerden zurĂŒck gehen und es sich von selbst wieder gibt? Oder handelt es sich eher um ein Problem, das man grundsĂ€tzlich hat, weil man beispielsweise «falsch» mit dem VerhĂ€ltnis von Arbeit und Privatleben umgeht?
Man kann natĂŒrlich eine Zeit abwarten und schauen, ob es sich beruflich oder privat gerade um eine Ausnahmesituation handelt â nicht jede Belastungssituation ist direkt ein Vorbote eines Burnouts. Hier kommt es auf die KontinuitĂ€t an. Wenn man ĂŒber Wochen Schlafstörungen hat, nicht mehr abschalten kann oder sich durchgehend resigniert oder gereizt fĂŒhlt, dann ist das schon etwas anderes. Das ist bei psychischen Beschwerden Ă€hnlich wie bei körperlichen. Wenn man an einem Tag etwas RĂŒckenschmerzen hat, ist das noch nicht bedenklich, aber wenn es ĂŒber Wochen anhĂ€lt, natĂŒrlich schon. Man sollte also schauen, wie oft und wie lange Symptome vorkommen. Wenn es sich um lĂ€ngerfristige Beschwerden handelt, sollte man sie ernst nehmen. Es gibt Hinweise, dass Menschen, die prĂ€destiniert sind fĂŒr Burnout, oft perfektionistisch und hoch engagiert sind, sie identifizieren sich sehr mit der Arbeit; es sind die Mitarbeitenden, die man sehr schĂ€tzt. Und gerade diejenigen tendieren dazu, sich zwei Jahre durchzubeissen und dann geht plötzlich gar nichts mehr. Es braucht dann deutlich lĂ€nger, die Menschen wiederaufzubauen. In unserer tĂ€glichen Arbeit sehen wir, dass solche Krisen oft bereits eine lĂ€ngere Vorgeschichte haben.
Das klingt nachvollziehbar. Wie wĂŒrde man am besten vorgehen, wenn man das GefĂŒhl hat, bei einer*m Mitarbeiter*in Anzeichen von anhaltendem Stress oder eines Burnouts zu erkennen? Ist es da am geschicktesten direkt den Dialog zu suchen?
Ja, das ist was wir ganz klar empfehlen. In unseren Studien hat sich eindeutig gezeigt, dass FĂŒhrungspersonen zwar alle interessiert und besorgt sind, auch ein gutes GespĂŒr fĂŒr ihre Mitarbeitenden haben, aber zu wenig ins Handeln kommen. Vielleicht haben sie auch zu viel Respekt, sich in private Bereiche zu bewegen â es ist auch heutzutage noch etwas anderes RĂŒckenschmerzen anzusprechen als eine schlechte Stimmung. Die Studienlage zeigt aber, dass es, wenn FĂŒhrungskrĂ€fte in den Dialog mit betroffenen Mitarbeitenden treten, und sogar â das wĂ€re dann noch eine Stufe weiter â mit HausĂ€rzten und Therapeuten zusammenarbeiten, deutlich wahrscheinlicher ist, dass Mitarbeitende behalten und wieder integriert werden können.
Ok, also Sie empfehlen eigentlich ganz klar Kommunikation und gemeinsame Arbeit an der Situation. Vielen Dank Frau LĂŒdi, dass wir durch Sie solch einen guten Einblick in dieses wichtige Thema bekommen konnten!

In unseren letzten beiden Artikeln hat sich gezeigt, dass vor allem mit der Beschleunigung und Intensivierung unserer Arbeitswelt Stress und emotionale Erschöpfung keine EinzelphĂ€nomene sind. Nicht nur in FĂŒhrungspositionen sind Belastungen am Arbeitsplatz hoch â und Ăberlastungen und Burnout-Risiko damit real. Die entscheidende Frage ist: Was können wir tun, um Stress zu reduzieren, Belastungen zu verringern und einen gesunden Ausgleich zu finden? Und wohin können wir uns wenden, wenn wir Anzeichen von ĂŒbermĂ€ssigem Stress oder eines Burnouts bei uns feststellen? Zu diesem Thema haben wir mit der Psychologin Saskia LĂŒdi von WorkMed ein Interview gefĂŒhrt und viele spannende Antworten bekommen.
